beschlossen in der Mitgliederversammlung am 28.4.1999 und geändert in der Mitgliederversammlung am 28.11.2020
Präambel
Zentraler Bestandteil psychoanalytischer Berufstätigkeit ist die Behandlung von Patient*innen mit Hilfe der psychoanalytisch begründeten Verfahren. Mit den Elementen einer spezifisch psychoanalytischen Wahrnehmung und Haltung, der Abstinenz und der all dies konstituierenden und bewahrenden analytischen Situation ermöglichen sie einen professionellen Umgang mit den vielfältigen Ausdrucksformen psychischer Aktivität von Individuen und Gruppen unter Einbeziehung ihrer Determination durch das Unbewusste. Unverzichtbar für die psychoanalytische Arbeit ist ein definierter äußerer Rahmen.
Wegen der ganz persönlichen Bezogenheit aller interaktiven Prozesse innerhalb der analytischen Situation sind die vorbewussten und unbewussten Abläufe mit ihren Mechanismen von Übertragung, Gegenübertragung, Widerstand und Regression empfindlich und störbar. Dies stellt hohe Anforderungen an die Zuverlässigkeit und Disziplin der/des Psychoanalytikerin*s, um die Herstellung und den Erhalt eines analytischen Prozesses gewährleisten zu können.
Es ist eine Besonderheit psychoanalytischer Berufstätigkeit, dass die Bedingungen psychischer Aktivität als Gegenübertragung in den Wahrnehmungen der/des Psychoanalytikerin/s, in ihrem/seinem Denken, Fühlen und Handeln wirksam werden. Für die Sicherung dieser professionellen Kompetenz ist es deshalb erforderlich, diese Zusammenhänge fortlaufend zu reflektieren.
Psychoanalytische Arbeit ist nur in einem freien demokratischen Umfeld möglich. Psychoanalytiker*innen tragen deshalb dafür Sorge, dass solche Bedingungen geschaffen und erhalten werden. Sie wahren auch persönlich die Würde und Integrität jedes Menschen. Zum Schutz der Würde und Integrität ihrer Patienten und zur Sicherung ihrer professionellen Kompetenz verpflichten sich die Psychoanalytiker*innen in der Akademie auf ethische Grundsätze ihrer Berufstätigkeit. Ihr Verhalten gegenüber Patient*innen, Kolleg*innen, Lehranalysand*innen, Supervisand*innen, psychoanalytischen Institutionen, der psychoanalytischen Wissenschaft und der allgemeinen Öffentlichkeit wird von diesen Grundsätzen geleitet.
Die Ethik-Leitlinien enthalten wissenschaftlich begründete Forderungen an die ethische Grundhaltung in der Ausübung psychoanalytischer Berufstätigkeit. Sie unterliegen deshalb den Erkenntnissen der wissenschaftlichen Entwicklung der Psychoanalyse und müssen gegebenenfalls diesen angepasst werden.
Die Ethik-Leitlinien (Präambel, Ethische Grundsätze, Verfahren zur Anhörung, Beratung und Hilfestellung in Fragen möglicher Verletzungen ethischer Grundsätze, Schieds- und Ausschlussordnung) ergänzen die Satzung der Akademie. Ob im konkreten Fall eine Verletzung der ethischen Grundsätze stattfindet oder stattgefunden hat, wird durch das Schieds- und Ausschlussverfahren entschieden.
Ethische Grundsätze der Akademie
A. Allgemeines
B. Ethische Grundsätze für Mitglieder und Aus- und Weiterbildungsteilnehmer*innen der Akademie
1. Die Arbeit der/des Psychoanalytikerin*s ist gekennzeichnet durch das Entwickeln und Fördern der Beziehungen der/des Patientin*en bzw. Analysandin*en im Rahmen des analytischen Prozesses und zielt so auf deren Wiederherstellung, Förderung, Entwicklung und Reifung in deren/dessen innerer und äußerer Welt. Haltung und Verhalten der/des Psychoanalytikerin*s stehen im Dienste dieses Prozesses.
2. Die analytische Beziehung ist ein wechselseitiges Übertragungs- und Gegenübertragungsgeschehen. Aus der Dynamik des Unbewussten entfalten sich Regressionen, die alle am analytischen Prozess Beteiligten erreichen. Es ist die Aufgabe der/des Psychoanalytikerin*s, sie für die analytische Arbeit nutzbar zu halten. Dazu muss sie/er die Grenzen des analytischen Raumes verlässlich und sicher herstellen und bewahren. Die Verantwortung dafür endet nicht mit der Beendigung der analytischen Arbeitsbeziehung.
3. Die Beziehung zwischen Ausbilder*innen und Aus- und Weiterbildungsbildungsteilnehmer*innen ist durch formale Vorgaben geregelt. Darüber hinaus finden auch hier Übertragungs- und Gegenübertragungsprozesse statt. Hier ist es Aufgabe der Ausbilder*innen, den Beziehungsraum zu schützen, in dem die Aus- und Weiterbildungsteilnehmer*innen Erfahrungen mit sich selbst in der Beziehung zu ihren Patient*innen machen können. Sie brauchen dazu die Resonanz der Ausbilder*innen für ihre jeweils eigene Art, Psychoanalyse zu verstehen und einen psychoanalytischen Prozess in Gang zu bringen, aber auch die offene und kritische Begleitung ihrer persönlichen und fachlichen Entwicklung. Insbesondere müssen sie davor geschützt sein, dass ihre durch die Ausbildungssituation gegebene Abhängigkeit missbraucht wird.
II. Spezielle ethische Grundsätze
1. Eine/ein Psychoanalytiker*in achtet jederzeit die Würde und Integrität einer/eines Patientin*en bzw. Analysandin*en.
2. Eine/ein Psychoanalytiker*in ist verpflichtet, den analytischen Prozess durch Abstinenz zu sichern. Daraus folgt, dass sie/er niemals ihre/seine Autorität und professionelle Kompetenz missbräuchlich dafür einsetzt, durch die/den Patientin*en bzw. Analysandin*en oder deren/dessen Familie und ihr/sein näheres Umfeld Vorteile zu erzielen. Sie/er geht mit den ihm anvertrauten Personen keine privaten, beruflichen oder ökonomischen Abhängigkeitsverhältnisse ein. Sie/er unterlässt jeden narzisstischen Missbrauch ihrer/seiner Patientin*innen bzw. Analysand*innen und handelt niemals im Interesse der Befriedigung eigener erotischer und/oder aggressiver Bedürfnisse. Insbesondere nimmt sie/er keine sexuelle Beziehung zu Patient*innen bzw. Analysand*innen auf. Sie/er achtet das Abstinenzgebot auch über die Beendigung der analytischen Arbeitsbeziehung hinaus.
3. Die/der Psychoanalytiker*in hält sich über die rechtlichen Bedingungen ihrer/seiner Berufstätigkeit informiert.
4. Sie/er beachtet die Informations- und Aufklärungspflicht gegenüber ihren/seinen Patient*innen bzw. Analysand*innen unter wissenschaftlich-psychoanalytischen Gesichtspunkten. Dies gilt insbesondere für die Indikationsstellung und den Behandlungskontrakt.
5. Mitteilungen der Patient*innen bzw. Analysand*innen behandelt sie/er vertraulich, auch über deren Tod hinaus.
Die Schweigepflicht (vgl. § 203 StGB) gilt auch für folgende Situationen:
- wissenschaftliche Veröffentlichungen
- Supervisionen, kollegiale Beratungen, Lehre und
- vorsorgliche Maßnahmen zur Wahrung des Datenschutzes bei eventuell eintretender Berufsunfähigkeit oder Tod der/des Analytikerin/s im Hinblick auf alle Aufzeichnungen über Patient*innen, Lehr- und Kontrollanalysand*innen.
6. Unter Abwägung des Gebots der Schweigepflicht sind bei drohender Selbst- oder Fremdgefährdung des/der Patientin*en bzw. Analysandin*en diese selbst, die/der Analytiker*in und andere gefährdete Personen zu schützen. Vor Nichteinhaltung der Schweigepflicht sind weniger einschneidende Maßnahmen zu prüfen.
7. Eine/ein Psychoanalytiker*in achtet darauf, dass sie/er nicht in einem Zustand arbeitet, durch den ihre/seine analytische Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt ist.
8. Eine/ein Psychoanalytiker*in ist zur Fortbildung und Intervision, bei Bedarf zu Supervision und gegebenenfalls zu weiterer persönlicher Analyse bereit.
C. Verfahren zur Anhörung, Beratung und Hilfestellung in Fragen möglicher Verletzungen ethischer Grundsätze
Vertrauensleute
Zur Anhörung, Beratung und Hilfestellung in Fragen möglicher Verletzungen ethischer Grundsätze wählt die Mitgliederversammlung der Akademie Vertrauensleute.
1. Sie sind Ansprechpartner*innen für Patient*innen bzw. Analysand*innen, die wegen möglicher Grenzüberschreitungen im analytischen Prozess in Bedrängnis geraten sind. Sie sind ebenfalls Ansprechpartner*innen für ratsuchende Kolleg*innen, Ausbildungsteilnehmer*innen und Personen außerhalb der Akademie.
2. Sie hören an, tragen zur Aufklärung bei und fördern die Handlungsfähigkeit der Beschwerdeführer*innen bzw. Ratsuchenden.
3. Die/der Beschwerdeführer*in bzw. Ratsuchende wendet sich an eine Vertrauensperson, die im Einverständnis mit der/dem Beschwerdeführer*in bzw. Ratsuchenden eine zweite Vertrauensperson hinzuziehen kann.
4. Hat ein Mitglied eine Information über eine mögliche Verletzung ethischer Grundsätze im Rahmen der Akademie erhalten, dann soll es sich in dieser Sache an eine Vertrauensperson wenden und selbst über die Information Schweigen bewahren.
5. Die Vertrauensleute pflegen einen angemessenen Erfahrungsaustausch unter Wahrung des Schutzes der Anonymität aller Betroffenen.
6. Darüber hinaus regeln sie die Form ihrer Zusammenarbeit selbst.
7. Die Vertrauensleute sind über alle Tatsachen, die ihnen bekannt werden, zum Schweigen verpflichtet. Eine Entbindung von der Schweigepflicht muss schriftlich erfolgen.
8. Das gilt auch für den wissenschaftlich–fachlichen Austausch der Vertrauensleute.
9. Die Mitgliederversammlung der Akademie wählt zehn fachlich und persönlich geeignete Vertrauensleute für einen Zeitraum von drei Jahren. Darunter sollen mindestens drei Frauen bzw. drei Männer vertreten sein. Eine einmalige Wiederwahl für weitere drei Jahre ist möglich.Scheiden Vertrauenspersonen aus, so werden auf der nächsten Mitgliederversammlung Ersatzpersonen gewählt.
10. Vertrauensleute dürfen weder Mitglieder des Geschäftsführenden Vorstands der Akademie noch Mitglieder der Schiedskommission sein. Zwei der Vertrauenspersonen sollen vorläufige Mitglieder sein, die auf Vorschlag der vorläufigen Mitglieder von der Mitgliederversammlung gewählt werden. Die vorläufigen Mitglieder unter den Vertrauenspersonen sollen eine Frau und ein Mann sein, jeweils eine/ein Vertreter*in der Abteilung ETH und der Abteilung AKJP.
11. In Fragen, die ihr Arbeitsfeld oder ihre Funktionen in der Akademie betreffen, sowie in Fragen, in denen sie persönlich in einen Interessens- oder Loyalitätskonflikt geraten könnten, müssen sich die Vertrauensleute für befangen erklären und die Ratsuchenden an andere Vertrauensleute verweisen.
12. Die Gruppe der Vertrauensleute gibt regelmäßig in der Mitgliederversammlung einen anonymisierten Bericht über ihre Tätigkeit ab.
D. Schieds- und Ausschlussordnung der Akademie
Der Beschluss der Mitgliederversammlung über den Ausschluss eines Mitglieds nach § 11 (4) der Satzung und andere Sanktionen gegen Mitglieder werden durch ein Schieds- und Ausschlussverfahren vorbereitet. Für das Verfahren gelten die nachstehenden Bestimmungen.
§ 2 Schiedskommission
1. Die Schiedskommission ist ein Organ der Akademie. Sie besteht aus einer/einem Vorsitzenden und vier Beisitzer*innen. Die Beisitzer*innen sollen zwei Männer und zwei Frauen sein.
2. Die/der Vorsitzende muss langjährige Praxiserfahrung als Richter*in besitzen. Sie/er darf nicht Psychoanalytiker*in sein. Die Beisitzer*innen müssen ordentliche Mitglieder sein; sie dürfen nicht dem Geschäftsführenden Vorstand angehören.
3. Die Kommissionsmitglieder sind unabhängig und an keinerlei Weisungen gebunden. Sie entscheiden nur bei vollständiger Besetzung der Kommission und mit absoluter Mehrheit. Stimmenthaltung ist nicht zulässig.
4. Der/dem Vorsitzenden der Kommission ist eine angemessene Vergütung zu zahlen. Die Tätigkeit der Beisitzer*innen erfolgt ehrenamtlich. Über eine Aufwandsentschädigung entscheidet die Mitgliederversammlung.
5. Ein Mitglied der Kommission ist von der Mitwirkung in einem Verfahren ausgeschlossen,
a) wenn es in der Sache selbst beteiligt ist,
b) wenn es mit der/dem Beschuldigten oder der/dem Beschwerdeführer*in verheiratet, verwandt oder verschwägert ist oder war,
c) wenn es in der Sache als Zeugin*e oder Sachverständige*r vernommen worden ist,
d) wenn es sich gegenüber der/dem Vorsitzenden der Kommission für befangen erklärt oder dieser ein Ablehnungsgesuch des beschuldigten Mitglieds oder der/des Beschwerdeführerin*s wegen Besorgnis der Befangenheit für begründet erachtet.
6. Die Schiedskommission wird in folgender Weise gebildet:
Die/der Vorsitzende wird von der Mitgliederversammlung auf Vorschlag des Geschäftsführenden Vorstandes für die Dauer von drei Jahren bestellt. Der Vorschlag wird mit der Einladung zur Mitgliederversammlung bekannt gegeben. Die Mitgliederversammlung wählt weitere zehn Mitglieder in einen Pool; darunter sollen mindestens drei Frauen bzw. drei Männer sein. Außerdem sollen in diesem Pool Analytiker*innen für Erwachsene und Analytiker*innen für Kinder und Jugendliche in angemessener Weise vertreten sein. Im konkreten Fall werden unter Leitung der/des Vorsitzenden die vier Beisitzer*innen in der Kommission aus diesem Pool bestimmt. Je zwei Beisitzer*innen werden dabei auf Vorschlag der/des Beschwerdeführerin*s und der/s Beschuldigten besetzt. Jede Seite kann einmal ein für die Kommission vorgeschlagenes Mitglied ablehnen. Übt eine/einer der Beteiligten binnen ihr/ihm gesetzter Frist sein Vorschlagsrecht nicht aus, entscheidet die/der Vorsitzende.
§ 3 Einleitung des Verfahrens
1. Das Verfahren wird auf schriftlichen Antrag einer/eines Beschwerdeführerin*s (Mitglied, Aus- oder Weiterbildungsteilnehmer*in oder einer Person außerhalb der Akademie) über den Geschäftsführenden Vorstand an den Vorsitzenden der Kommission eingeleitet.Der Antrag muss hinreichend begründet sein und die Beweismittel bezeichnen. Er ist in einem verschlossenen Umschlag an den Geschäftsführenden Vorstand zu senden, der diesen unverzüglich und ungeöffnet an die/den Vorsitzende/n der Schiedskommission weiterleitet.
2. Die/der Vorsitzende der Kommission kann einen Antrag als offensichtlich unbegründet verwerfen, wenn die in ihm behaupteten Tatsachen – ihre Wahrheit unterstellt – Sanktionen offensichtlich nicht rechtfertigen würden. Die Zurückweisung bzw. Verwerfung teilt die/der Vorsitzende der Kommission der/dem Beschwerdeführer*in schriftlich in begründeter Form mit.
1. Wird eine Beschwerde der Schiedskommission zugeleitet, so stellt die/der Vorsitzende, nachdem sie/er die Feststellung nach § 3 Ziff. 2 getroffen hat, die erforderlichen Ermittlungen an. Dabei hat sie/er insbesondere die/den Beschuldigte/n schriftlich zur Sache zu hören sowie alle im Verhältnis zur Sache angemessenen, belastenden wie entlastenden Beweise zu erheben, soweit dies auf schriftlichem Wege möglich ist. Die/der Vorsitzende kann die Ermittlungen ganz oder teilweise den Beisitzer*innen übertragen.
2. Steht nach Durchführung der Schlüssigkeitsprüfung bzw. der schriftlichen Ermittlungen zur Überzeugung der Schiedskommission fest, dass die Beschwerde unbegründet ist und Sanktionen gegen die/den Beschuldigte*n demzufolge nicht in Betracht kommen, beschließt die Kommission die Einstellung des Verfahrens und teilt dies den Beteiligten in begründeter Form mit. Eine Anfechtung der Entscheidung ist nicht möglich. Die Kommission unterrichtet die Mitgliederversammlung, soweit die/der Beschuldigte dies verlangt.
3. Nimmt die/der Beschuldigte trotz angemessener Nachfristsetzung durch die/den Vorsitzende*n gegenüber der Kommission nicht fristgemäß Stellung, empfiehlt diese den Ausschluss gemäß § 5 Ziff. 6. Bei der Nachfristsetzung ist auf diese Rechtsfolge hinzuweisen.
§ 5 Mündliche Verhandlung
1. In anderen als den in § 4 Ziff. 2 und 3 genannten Fällen bestimmt die/der Vorsitzende im Benehmen mit den Beisitzer*innen Termin und Ort der mündlichen Anhörung der/des Beschuldigten.
2. Die Verhandlung ist von der/dem Vorsitzenden soweit vorzubereiten, dass die Kommission möglichst nach der Sitzung abschließend entscheiden kann. Gegebenenfalls sind die Beschwerdeführer*innen, Zeug*innen, Sachverständige oder sonstige Beteiligte zu laden. Die Beteiligten sind in der Ladung darauf hinzuweisen, dass auch in ihrer Abwesenheit verhandelt und entschieden werden kann.
3. Die Verhandlung wird von der/vom Vorsitzenden der Kommission geleitet; sie ist nicht öffentlich.
4. Steht nach Abschluss der mündlichen Verhandlung und gegebenenfalls Beweisaufnahme zur Überzeugung der Kommission fest, dass die Beschwerde unbegründet ist und Sanktionen gegen die/den Beschuldigten nicht in Betracht kommen, findet § 4 Ziff. 2 entsprechende Anwendung.
5. Andernfalls beschließt die Schiedskommission geeignete Auflagen. Diese Auflagen dienen insbesondere dem Schutz der Patient*innen bzw. Analysand*innen und der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit der/des Analytikerin*s. Solche Maßnahmen sind z.B. eine Wiedergutmachung gegenüber der/dem Geschädigten (Entschuldigung, klärende Aussprache in Gegenwart eines moderierenden Dritten, Schadensersatz, etc.), eine Supervisionsauflage, eine Auflage zur weiteren eigenen Analyse, die Enthebung von Ämtern, die Enthebung von Lehr- und Ausbildungsfunktionen oder das Ruhen der Mitgliedschaft.
Die Schiedskommission entscheidet, ob das jeweils zuständige Gremium (z.B. Aus- und Weiterbildungsausschuss, Aufnahmeausschuss) oder die Mitgliederversammlung von dieser Entscheidung unterrichtet wird, und wenn ja, in welchem Umfang. Auf Wunsch des Beschuldigten kann die Mitgliederversammlung auf jeden Fall unterrichtet werden.
§ 6 Rücknahme der Beschwerde
Wenn eine/ein Beschwerdeführer*in die Beschwerde zurückzieht, entscheidet die Schiedskommission unter sorgfältiger Abwägung und Wahrung der Interessen sowie der Schutzbedürftigkeit aller Verfahrensbeteiligten über die Fortführung oder Beendigung des Verfahrens.
§ 7 Beschlussfassung der Mitgliederversammlung
1. Empfiehlt die Schiedskommission den Ausschluss (§ 5 Ziff. 6), so ist die Ausschlussempfehlung in der Tagesordnung für die Mitgliederversammlung anzukündigen. Der Name der/des Beschuldigten sowie die Gründe sind der Tagesordnung beizufügen; diese Unterlagen sind von den Mitgliedern vertraulich zu behandeln.
2. In der Mitgliederversammlung hat die/der Beschuldigte das Recht, sich im Rahmen der Tagesordnung zur Sache zu äußern.
3. Die Mitgliederversammlung kann die Sache zur erneuten Verhandlung an die Schiedskommission zurückverweisen. Die Zurückverweisung ist schriftlich zu begründen.
4. Das Ergebnis der Beschlussfassung der Mitgliederversammlung ist der/dem Beschuldigten unter Angabe der Gründe von der/dem Vorsitzenden der Akademie schriftlich mitzuteilen.
§ 8 Allgemeines
1. Die Mitgliederversammlung fasst ihre Beschlüsse im Rahmen dieser Schieds- und Ausschlussordnung jeweils mit Mehrheit von zwei Drittel der erschienenen Mitglieder. Stimmenthaltung und ungültige Stimmen sind nicht mitzuzählen.
2. Beschwerdeführer*in und Beschuldigte*r können in jeder Lage des Verfahrens auf eigene Kosten eine/n Bevollmächtigte*n hinzuziehen, die/der Mitglied der Akademie oder Rechtsanwältin/-anwalt sein muss.
3. Sämtliche Beteiligte – mit Ausnahme der/des Beschwerdeführerin/-führers und der/des Beschuldigten gemäß den Grundsätzen des rechtfertigenden Notstands (§ 34 StGB) – unterliegen bezüglich der ihnen im Verfahren bekannt gewordenen Tatsachen, Äußerungen und Abstimmungsergebnisse der Schweigepflicht. Nach dem Ausschluss durch die Mitgliederversammlung gilt dies nicht mehr für die Tatsache des Ausschlusses und dessen Gründe (§ 7 Ziff. 4).
5. Ist gegen die/den Beschuldigte*n bereits ein straf- bzw. kammerrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet worden oder wird ein derartiges Verfahren im Verlauf eines Schieds- und Ausschlussverfahrens eingeleitet, ist das Schieds- und Ausschlussverfahren bis zur Beendigung jener Verfahren auszusetzen. Der Schiedskommission steht es frei, die unter §5 Ziff. 5 vorgesehenen Maßnahmen einzuleiten. Freispruch oder Verfahrenseinstellung im straf- bzw. kammerrechtlichen Verfahren hindert die Einleitung bzw. Fortführung des Schieds- und Ausschlussverfahrens nicht. Für die Entscheidung im Schieds- und Ausschlussverfahren sind die tatsächlichen Feststellungen der straf- bzw. kammerrechtlichen Entscheidung bindend.
8. Notwendige Kosten des Verfahrens und die Vergütung des Vorsitzenden der Schiedskommission trägt die Akademie. Auslagen der/des Beschwerdeführerin*s und des Beschuldigten werden nicht erstattet.
Anhang: Erläuterungen
Zwei Paragraphen (§ 203 und § 34 Strafgesetzbuch/StGB) werden in den Leitlinien genannt, die juristischen Laien schwer zugänglich sind:
§ 203 StGB (Verletzung von Privatgeheimnissen)
(1) Wer unbefugt ein fremdes Geheimnis, namentlich ein zum persönlichen Lebensbereich gehörendes Geheimnis oder ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis, offenbart, das ihm als
- Arzt, Zahnarzt, Apotheker oder Angehörigen eines anderen Heilberufs, der für die Berufsausübung oder die Führung der Berufsbezeichnung eine staatlich geregelte Ausbildung erfordert,
- Berufspsychologen mit staatlich anerkannter wissenschaftlicher Abschlussprüfung,
- Rechtsanwalt, Patentanwalt, Notar, Verteidiger in einem gesetzlich geordneten Verfahren, Wirtschaftsprüfer, vereidigten Buchprüfer, Steuerberater, Steuerbevollmächtigten oder Organ oder Mitglied eines Organs einer Rechtsanwalts-, Patentanwalts,- Wirtschaftsprüfungs-, Buchprüfungs- oder Steuerberatungsgesellschaft,
- Ehe-, Familien-, Erziehungs- oder Jugendberater sowie Berater für Suchtfragen in einer Beratungsstelle, die von einer Behörde oder Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts anerkannt ist,
- Mitglied oder Beauftragten einer anerkannten Beratungsstelle nach den §§ 3 und 8 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes,
- staatlich anerkannten Sozialarbeiter oder staatlich anerkannten Sozialpädagogen oder
- Angehörigen eines Unternehmens der privaten Kranken-, Unfall-, oder Lebensversicherung oder einer privatärztlichen Verrechnungsstelle anvertraut worden oder sonst bekannt geworden ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.
(…)
(4) Die Absätze 1 bis 3 sind auch anzuwenden, wenn der Täter das fremde Geheimnis nach dem Tod des Betroffenen unbefugt offenbart.
(5) Handelt der Täter gegen Entgelt, oder in der Absicht, sich oder einen anderen zu bereichern oder einen anderen zu schädigen, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe.
§ 34 StGB (Rechtfertigender Notstand)
Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder eines anderen Rechtsguts eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Dies gilt jedoch nur, soweit die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden.
Juristische Erläuterung von Dr. Giulietta Tibone zu § 8 Abs. 3 der Ethikleitlinien:
Mit der Formulierung von § 8 Abs. 3 ist gemeint, dass die/der Beschuldigte – ohne rechtswidrig zu handeln – Geheimnisse zur Wahrung entgegenstehender berechtigter eigener Interessen offenbaren kann, soweit die Offenbarung nach den Grundsätzen der Güter- und Interessensabwägung ein angemessenes Mittel ist, z.B. um sich zu verteidigen oder um unwahren Behauptungen, die das berufliche Ansehen der/s Schweigepflichtigen erheblich beeinträchtigen, entgegenzutreten. Dies gilt auch im Falle der Einklagung des Honorars oder der Verteidigung im Regress- bzw. im Strafprozess), die nicht durch die Ethikleitlinien geregelt sind.
In all diesen Fällen des rechtfertigenden Notstands muss aber die Privatsphäre der Analysand*innen so weit wie möglich geschützt werden.
Copyright © 2020 Akademie für Psychoanalyse und Psychotherapie München e.V.
Alle Rechte vorbehalten.